Sie laden Steine vom Strand auf Schubkarren, fahren Holzlatten, Kisten und Paletten auf alten Kinderwagen herbei und tragen Iglu-Zelte ans Wasser. Fast 10.000 Migranten sind inzwischen im neuen Camp von Kara Tepe einquartiert. Kara Tepe ist ein türkisches Wort und bedeutet „Schwarzer Hügel.“ Ein Hügel, am Meer gelegen, etwa sechs Kilometer nördlich von Mytilene, dem Hauptort der Insel Lesbos. Die zu Griechenland gehörende Insel befindet sich in der nördlichen Ägäis, unmittelbar vor der türkischen Küste, dessen Umrisse mit bloßem Auge deutlich zu sehen sind.

Jene Insel, die dieser Tage in die Schlagzeilen der Weltpresse geraten ist, nachdem radikale Migranten das einst vollkommen überfüllte Lager von Moria niederbrannten. Die Lage schien außer Kontrolle zu geraten. Die Migranten hatten sich an den Straßen provisorische Behausungen und Unterstände aus Bambusholz, Stroh, Planen und Holzlatten gebaut, hatten das Alltagsleben der benachbarten Dörfer zum Erliegen gebracht.
Jetzt reißen Bagger und Traktoren mit ihren mächtigen Schaufeln die Unterstände auseinander, kippen die Reste davon auf die Ladeflächen von Lastwagen. Die Botschaft der griechischen Behörden ist klar: Kein wildes Campieren. Nur, wer sich ins neue Lager einquartieren läßt, kann Asyl beantragen. Am Freitag räumte die Polizei die Straße. Familien leisteten zumeist ohne Komplikationen den Anordnungen der Polizei folge, ließen sich ohne größere Widerstände ins neue Lager nach Kara Tepe bringen.



Polizei hat viel zu tun
Der schwierigere Einsatz steht der Polizei jedoch noch bevor. Sie müssen jene jungen Männer ins neue Lager bringen, die nicht wollen. Jene, die sich in den umliegenden Kiefernwäldern versteckt halten, Feuer legen und ihre Verlegung aufs griechische Festland erzwingen wollen.

Unentwegt sind am Freitag abend Polizeisirenen zu hören, rasen Einsatzwagen von Mytilene aus in Richtung Kara Tepe. Ihnen folgen Busse mit vergitterten Fenstern, die zum Abtransport der Migranten ins neue Camp genutzt werden. Im Hafen von Mytilene liegen mehrere Schiffe von Küstenwache und Grenzpolizei vor Anker. Patrouillenboote kontrollieren die Küste.

Tausende Migranten wagen Jahr für Jahr die illegale Überfahrt, landen auf Lesbos und wurden noch bis vor kurzem im einst hoffnungslos überfüllten Lager von Moria untergebracht. „Wir sind per Flugzeug nach Istanbul gekommen und wurden von dort an die türkische Westküste gebracht“, erzählen Michael und Fisk. Beide sind mit ihren Frauen und Kindern aus dem Kongo gekommen. „Von Istanbul waren wir zunächst weiter nach Marokko gereist“, erzählt Michael. Ihre Hoffnung: Über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien und damit nach Europa zu gelangen.
Neue Flüchtlingslager entstehen
Daraus wurde nichts. Sie reisten wieder zurück nach Istanbul, versuchten es ein weiteres Mal über die östliche Mittelmeerroute per Schlauchboot von der türkischen Küste aus nach Lesbos. Mit Erfolg. „Ein Jahr und drei Monate sind wir jetzt hier“, sagt Fis.
Nach der Zerstörung von Moria leben sie nun mit ihren Familien in einem Containerdorf, wenige hundert Meter vom neuen Camp Kara Tepe entfernt. Den Zutritt zum Containerdorf verweigern uns die Sicherheitsbediensteten. Auch Aufnahmen vom Eingangsbereich, in dem Dutzende Migranten Schlange stehen, um sich für die Umquartierung zu registrieren und Coronatests zu durchlaufen, sind nicht gestattet.



Weniger restriktiv sind dagegen die Sicherheitsmaßnahmen in der neuen Zeltstadt von Kara Tepe. Noch. Denn schon jetzt ist abzusehen, daß das neue Camp ein weiterer abgeschotteter Ort wird. Unter Polizeiaufsicht entsteht ein drei Meter hoher Metallzaun, der das gesamte Areal bis hin zum Meer umschließen wird. Noch können wir passieren, sehen uns im Lager von Kara Tepe genauer um.
Die Stimmung ist friedlich, entspannt. Kinder vergnügen sich im Wasser. Mütter waschen am Strand Kleidung. Rauchschwaden durchziehen die Luft. Diesmal ist es kein Brand. Eine Frau hat ein kleines Feuer gemacht und einen Kochtopf daraufgestellt. Mittagessen. Doch die friedliche Atmosphäre täuscht. „Es fehlt an Trinkwasser und Nahrungsmitteln, auch Toiletten sind zu wenige vorhanden“, erzählt eine Gruppe Pakistanis der JF.
Eine Dauerlösung für die Unterbringung der Flüchtlinge fehlt
Allein reisende junge Männer sind hier dagegen kaum anzutreffen. 12.000 Menschen werden auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz untergebracht werden können. Damit ist schon jetzt klar: Für alle nach dem Brand von Moria obdachlos Gewordenen werden die Kapazitäten nicht reichen. Ob die neuen Behausungen für die sturm- und regenreicheren Tage der Winterzeit standhalten können, ist fraglich. Entsprechende fachliche Gutachten über die Eignung des Standorts fehlen, die Zeit drängte. Die griechische Regierung spricht davon, daß Kara Tepe lediglich eine Übergangslösung sei. Doch schon Moria war eigentlich nur als Übergangslösung konzipiert.

Migranten sollten Lesbos und die anderen Inseln wie Samos, Chios oder Kos erst verlassen können, wenn sie dort ein Asylverfahren durchlaufen haben. Erst wenn ihnen Asyl gewährt wird, dürfen sie aufs griechische Festland weiterreisen. In den meisten Fällen erweist sich der Asylantrag jedoch als unbegründet. In diesem Fall – so sieht es der EU-Türkei-Deal eigentlich vor – müßten die Migranten wieder zurück in die Türkei abgeschoben werden. So die Theorie. Die Praxis ist eine andere.

Denn die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind angespannter denn je, jeglicher Fährverkehr zwischen beiden Staaten wurde eingestellt, Flüge auf ein Minimum reduziert. Und daß die Türkei abgeschobene Migranten trotz EU-Zahlungen nicht mehr zurücknehmen wird, wurde schon im März dieses Jahres klar, als der türkische Präsident Erdogan die Migranten in seinem Land zur Ausreise Richtung Europa aufgerufen hatte. Mit der Folge, daß die Griechen ihre Grenzen abriegelten. Und weil der EU-Türkei-Deal maßgeblich die Handschrift von Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt, wächst angesichts beunruhigender Bilder der Eskalation auch der Druck auf die Bundesregierung in Berlin.
Corona sorgt für Unruhe unter den Flüchtlingen
Und dann ist da noch das Coronavirus, daß nun auch im beengten Lager von Moria ausgebrochen war und die Unruhen ausgelöst hatte. Die Seuche ist auch der Grund, warum die Migranten das Lager von Kara Tepe vorerst nicht verlassen sollen. Jeder, der ins Lager kommt, muß sich zunächst einem Coronatest unterziehen. Wer positiv getestet wird, wird gesondert untergebracht. Sicherheitsbedienstete haben sich rings um das das Lager an den gerade entstehenden Zäunen postiert. Wer das Lager wieder verlassen möchte, wird von ihnen energisch zurückgewiesen.

Fünf afghanische Kinder im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren haben es dennoch geschafft, robbten sich an den Sicherheitsbediensteten ungesehen vorbei. Jetzt sitzen sie an einem Trampelpfad nahe des Lagers zwischen Olivenbäumen, haben eine Decke auf den Boden gelegt und Essen und Getränke darauf gestellt. „Das hat uns ein Holländer gerade vorbeigebracht“, sagt einer von ihnen. Äpfel, Süßigkeiten, Wasser und Säfte.
Polizisten sollen Migranten geschlagen haben

Sie erzählen vom Leben im neuen Lager, in dem sie jetzt mit ihren Eltern leben. Acht bis zehn Personen müssen sich ein Zelt teilen. Ein weiterer Junge zeigt pantomimisch, wie beengt seine Schlafposition ausfällt. Sie schildern auch, wie die Lage eskalierte, als sie vor wenigen Tagen abgeholt und in das neue Lager gebracht worden waren. „Die Polizisten haben uns geschubst und mit Knüppeln geschlagen.“ Gegenüber der JF zeigen sie ihre erlittenen Wunden. Abschürfungen, blaue Flecke.
Doch auch die griechische Polizei weiß von unschönen Szenen zu berichten. „Wir wurden von einigen Migranten bespuckt und mit Steinen beworfen“, verrät einer von ihnen. Die Mehrheit der Migranten sei zwar friedlich, einige jedoch eine ernste Gefahr.
Warum viele Bauern auf Lesbos auf die Migranten sauer sind, wie deutsche Linksradikale die Stimmung unter den Migranten noch zusätzlich anheizen und was sich sonst noch in und um das Lager von Kara Tepe derzeit abspielt, erfahren sie in der kommenden Print-Ausgabe der JF.
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Zur Erleichterung aller Beteiligten blieb das Wochenende im Leipziger Szene-Stadtteil Connewitz verhältnismäßig ruhig. Eine brennende Barrikade und ein paar illegale Feuerwerkskörper auf einer mäßig besuchten Demonstration des linken Spektrums – das Großaufgebot der Polizei hatte Wirkung gezeigt. Am Wochenende davor hatte dies noch anders ausgesehen, als in drei aufeinander folgenden Nächten 20 Polizeibeamte verletzt und diverse Polizeifahrzeuge beschädigt wurden. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte den Randalierern „den Kampf an“, Oberbürgermeister Burk-hard Jung (SPD) verurteilte die Gewalt „auf das schärfste“.
Alle paar Monate kommt es in Deutschland zu Ausschreitungen der linken Szene – mal spontan wie in Leipzig, mal geplant und anlaßbezogen wie beim G20-Gipfel in Hamburg und auch als regelmäßiger Termin im Autonomenkalender wie beim 1. Mai in Berlin. Oft werden Polizisten verletzt, manchmal Unbeteiligte. Regelmäßig kommt es zu hohen Sachschäden, und als Reaktion üben sich die Parteien und die politisch Verantwortlichen in immer den gleichen Distanzierungsritualen: Härteres Durchgreifen, Verschärfung von Gesetzen, mehr Polizei. Umgesetzt wird von den Forderungen in der Regel keine, denn drei Tage später spricht niemand mehr darüber.
Der Umgang mit linker Militanz suggeriert zudem, sie wäre nur dann ein Problem, wenn Linksautonome sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Worüber die Öffentlichkeit kaum spricht, sind die alltäglichen Übergriffe linksgerichteter Gruppen, die nicht von grölenden Menschenmassen ausgehen, sondern geplant und konspirativ ausgeführt werden. Es geht um Angriffe auf Privathäuser mißliebiger Politiker und Beamter, auf Gaststätten, Parteibüros, Firmen, Neubauten, Studentenverbindungen und im Grunde alle, deren Meinung von der militanten Linken nicht toleriert wird.
Politiker von linker Militanz betroffen
In den meisten Fällen handelt es sich um Farbangriffe und das Sprühen von Parolen. Das hört sich zunächst banal an, ist es aber nicht. Der Schaden geht oftmals in die Zehntausende, die Angreifer nutzen präparierte Feuerlöscher, um die Farbe möglichst großflächig anbringen zu können. Dabei geht es ihnen noch nicht einmal um den materiellen Schaden. Zurück bleibt immer eine politische Botschaft, die besagt: „Wir sind hier und bereit, dich anzugreifen. Wenn du weitermachst, kommen wir wieder.“
Es bleibt auch nicht bei Farbangriffen. Die nächste Eskalationsstufe sind Brandstiftungen, vornehmlich an Kraftfahrzeugen. Diverse AfD-Politiker wie Frauke Petry, Uwe Junge, Tino Chrupalla, Frank Hansel, Ronald Gläser und Nicolaus Fest waren bereits davon betroffen. Aber auch Journalisten wie Gunnar Schupelius oder Sozialwissenschaftler wie Werner J. Patzelt waren bereits mit dieser Form linker Aggression konfrontiert.
Es sei ja nur „Gewalt gegen Sachen“, argumentieren die Apologeten der militanten Akteure. Aber bei jedem dieser Anschläge besteht die Gefahr, daß die Flammen auf Gebäude oder andere Fahrzeuge überspringen und Menschen zu Schaden oder zu Tode kommen. Im Juni dieses Jahres warnte der Verfassungsschutz, er halte die Entstehung linksterroristischer Strukturen für möglich. Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, daß die linksextremistischen „Revolutionäre[n] Aktionszellen“ (RAZ) Drohbriefe, teils mit scharfer Munition, an mindestens 15 Politiker und Behördenleiter verschickt hatten.
Gegenmacht zum Rechtsstaat
Die Folgen der Angriffe sind bereits seit Jahren sichtbar. Gaststätten stellen ihre Räume aus Angst vor militanten Gruppen nicht mehr für politische Veranstaltungen zur Verfügung. Parteien finden nicht ausreichend Kandidaten. Politiker ziehen sich aus Rücksicht auf ihre Familien aus der Öffentlichkeit zurück. Im Ergebnis werden Menschen in ihrem Wahlverhalten beeinflußt, weil einige Parteien im demokratischen Wettbewerb benachteiligt sind.
Und auch mancher Politiker der etablierten Parteien wird sich angesichts möglicher Vergeltungsaktionen des militanten Spektrums genau überlegen, was er in der Öffentlichkeit sagt und was nicht. Durch die kontinuierliche Beeinflussung des politischen Prozesses konstituiert sich die militante Linke als Gegenmacht zum demokratischen Rechtsstaat.
Politisch motivierte Gewalt ist kein Alleinstellungsmerkmal der militanten Linken. Rechtsextremisten haben in jüngster Vergangenheit weitaus schlimmere Taten begangen als die, die auf das Konto von Linksextremisten gehen. Auch sie schüchtern ihre politischen Gegner damit massiv ein. Aber im Unterschied zu linker Militanz wird rechter Militanz mit großem gesellschaftlichem Engagement begegnet.
Es gibt Hunderte Gruppen, die sich mit Rechtsextremismus befassen, aber nur eine Handvoll, die sich Linksextremismus und linke Militanz zum Thema gewählt haben. Nur ein bis zwei Prozent der Mittel für die Extremismusprävention werden für die Bekämpfung des Linksextremismus aufgewendet. Und wer in wissenschaftlichen Bibliotheken nach Literatur zum Thema sucht, findet kaum etwas. Viele Abhandlungen stammen von Autoren, die selbst Teil dieser Szene sind, es waren oder ihr zumindest nahestehen. Fest steht: Die Gegenmacht zum demokratischen Rechtsstaat entsteht nicht, weil die militante Linke Anschläge verübt. Sie entsteht, weil die demokratische Gesellschaft ihr nicht entschlossen genug gegenübertritt.
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Dr. Karsten D. Hoffmann ist Politikwissenschaftler. Seine Dissertation über die „Rote Flora“ wurde mit dem Preis der Deutschen Hochschule der Polizei ausgezeichnet. Im GHV-Verlag ist kürzlich sein neues Buch „Gegenmacht“ erschienen.
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Das FBI hat Berichten zufolge einen Gift-Anschlag auf US-Präsident Trump vereitelt.
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