Japans Regierungschef Abe bewegt sich in Richtung einer neuen Präventivkriegsstrategie
F. William Engdahl
Nach seinem wichtigen Wahlsieg, der ihm die Mehrheit im Oberhaus des japanischen Parlaments sichert, kann Premierminister Shinzō Abe jetzt unbesorgt seine politischen Pläne verfolgen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dazu auch die erste Änderung der von den USA entworfenen Nachkriegs-Verfassung Japans zählen. Berichte aus Tokio deuten darauf hin, dass der Artikel 9 aufgehoben wird.

Nach Artikel 9 ist es Japan grundsätzlich verboten, Krieg zu führen und eine eigene moderne Armee zu unterhalten. Außerdem könnte Japan in der Verfassung dazu ermächtigt werden, »präemptive Kriege« zu führen – ein Echo der Bush-Doktrin aus dem Irakkrieg. Das Ziel ist China; Washington gliedert seine militärische Rolle in Asien nach Tokio aus.
Durch das Ergebnis der japanischen Oberhauswahlen vom 21. Juli hat Abe in beiden Häusern des Parlaments eine stabile Mehrheit, der Weg ist frei, seine militärischen und außenpolitischen Pläne umzusetzen. Dazu gehört auch eine Neuinterpretation der Verfassung, um das selbst auferlegte Verbot aufzuheben, vom Recht zur Selbstverteidigung Gebrauch zu machen oder einem Verbündeten bei einem Angriff – beispielsweise bei einem Raketenangriff Nordkoreas – beizustehen. Im Übrigen wird eine Politik eingeschlagen, die unter anderem darin besteht, bei einem drohenden Angriff feindliche Stützpunkte angreifen zu können, wenn keine andere Option mehr besteht. Ein weiterer Punkt ist die Gründung einer Marines-Einheit zum Schutz vorgelagerter Inseln wie der Senkaku-Inseln, wie sie in Japan heißen (»Diaoyu« auf Chinesisch) bei einem territorialen Konflikt mit China.
Am 26. Juli nahm Abes Kabinett einen Bericht zur Verteidigungspolitik in Empfang, in dem eine Präventivschlagstrategie gegen potenzielle Aggressoren vorgeschlagen wird. Endgültig wird über
diesen Bericht Ende 2013 entschieden. In der Studie werden Methoden erwogen, »die Fähigkeit zur Abschreckung gegen ballistische Raketen und zur Reaktion darauf zu stärken«, hieß es in japanischen Medien.
Bemerkenswerterweise gab es aus Washington keine negativen Aussagen über die militärische Entwicklung Japans. Das bedeutet, dass Washington die wachsende militärische Rolle Japans in Asien unterstützt, die sich eindeutig gegen China richtet. Es passt in ein Muster, wonach das Pentagon Verbündete als Stellvertreter nutzt, da der eigene Verteidigungshaushalt in den nächsten zehn Jahren angesichts der riesigen Staatsverschuldung und hoher Defizite der USA gekürzt wird.
Das Ziel China
Abe und sein Verteidigungsminister haben Pläne bekannt gegeben, wonach die militärische Schlagfähigkeit Japans drastisch erhöht wird, beispielsweise durch die Anschaffung von Präzisions-Lenkwaffen, durch eine verstärkte Raketenabwehr und die Fähigkeit zum Auftanken von Flugzeugen in der Luft. Darüber hinaus wird Japan Interkontinentalraketen und Marschflugkörper entwickeln und die Luftwaffe stärker ausbauen.
Wenn diese Pläne erfolgreich umgesetzt werden, könnte Japan eine überlegene Fähigkeit zum Präventivschlag entwickeln, die sich gegen Nordkorea oder zum Schutz der umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer vor einer chinesischen Invasion einsetzen ließe. Außerdem plant Abe eine Änderung der japanischen Verfassung, so dass regelmäßigere Militäreinsätze möglich wären und ein nationaler Sicherheitsrat gebildet werden könnte. In diesem Monat werden die USA und Japan in Kalifornien ein gemeinsames Manöver abhalten, bei dem die Entwicklung gemeinsamer amphibischer Operationen im Mittelpunkt steht.
Trotz seiner pazifistischen Verfassung kann sich Japan heute einer der besten Armeen in Asien rühmen. Die Streitkräfte wurden durch die Teilnahme an allen Konflikten, die die USA in den letzten 20 Jahren gestartet haben, geschickt ausgebildet. Außerdem waren japanische »Friedenstruppen« aktiv an UN-Missionen in Afrika und Asien beteiligt, wo sie wertvolle Kampferfahrungen sammeln konnten.
Ein selbst auferlegtes Verbot von Waffenexporten hat Japan bereits aufgehoben. Großkonzerne des japanischen militärisch-industriellen Komplexes wie Mitsubishi Heavy Industries Ltd., Kawasaki Heavy Industries Ltd. und Fuji Heavy Industries Ltd. hoffen nun auf größere Rüstungsaufträge. Als Japan zuletzt eine ähnliche Veränderung durchmachte, geschah dies ebenfalls während einer lange währenden Wirtschaftsdepression und inmitten einer aufwallenden nationalistischen Stimmung. Es war Ende der 1920er Jahre und endete in einem japanischen Präventivschlag gegen Pearl Harbor im Dezember 1941. Damals wollten US-Präsident Roosevelt und Churchill Japan zu einem Krieg gegen die USA provozieren, um die zögernde amerikanische Öffentlichkeit zur Unterstützung für einen Krieg gegen Japan, Deutschland und Italien zu gewinnen. Heute versucht Washington eindeutig, China in eine Konfrontation zu locken, wobei Japan als Stellvertreter fungiert. Bislang reagiert China vorsichtig, aber firm.
Ende Mai empfing Abe den indischen Ministerpräsidenten Manmohan Singh; bei dem Besuch wurden weitreichende Verteidigungsabkommen unterzeichnet. Eines davon ist eine Vereinbarung über die Lieferung von japanischen Seeflugzeugen an Indien, Japans erster Eintritt in den milliardenschweren indischen Rüstungsmarkt. Tokio und Neu-Delhi werden in Kürze eine Vereinbarung unterzeichnen, wonach Indien US-2-Flugzeuge kauft, die die japanischen Streitkräfte verwenden.
Von China misstrauisch beäugt, hielten Indien und Japan im Juni ihr erstes gemeinsames Marinemanöver vor der japanischen Küste vor Tokio ab. Japan und Indien betonten, sie teilten den Wunsch nach Sicherheit für wichtige Seewege in der Region, allen voran der Straße von Malakka. Die japanische und die indische Marine zählen zu den größten Seestreitkräften in Asien. 80 Prozent des japanischen Öls kommen durch die Straße von Malakka und 20 Prozent aller Schiffe, die die Seestraße passieren, sind in japanischem Besitz. Über 50 Prozent des indischen Handels verlaufen über die Straße von Malakka.
Die Ereignisse wecken beunruhigende Erinnerungen. In der Zeit von 1880 bis 1914 begann Großbritannien, das den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland fürchtete – Sinnbild dafür war die deutsche Bagdadbahn zum Persischen Golf –, mit einer Strategie der diplomatischen und militärischen Einkreisung Deutschlands. Zuerst die Entente cordiale zwischen Großbritannien und Frankreich, dann die Triple Entente mit Großbritannien, Russland und Frankreich. Serbien wurde zu einem entscheidenden Glied in der Kette, was spätestens deutlich wurde, als im Juni 1914 der österreichisch-ungarische Thronfolger in Sarajevo von einem serbischen Attentäter ermordet wurde.
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